Vollständiger
Redetext der Vortragsveranstaltung des Witikobundes im Rahmen des
Sudetendeutschen Tages 2007
in Augsburg;
Samstag, 26. Mai 2007, 17.00 Uhr; Messezentrum - TC Ebene 2,
Raum 2.24
Zehn Jahre Deutsch-Tschechische Erklärung - Anspruch und Wirklichkeit aus witikonischer Sicht
Referent:
Roland Schnürch, Vorsitzender des Hauptausschusses und des
Arbeitskreises „Völkermord“ der SL-Bundesversammlung
Liebe
Landsleute, liebe Kameradinnen und Kameraden!
Am 21. Januar
1997 unterzeichnete Bundeskanzler Kohl die „Deutsch-tschechische Erklärung über
die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung“ in Prag.
Unmittelbar nach Bekanntwerden des endgültigen Textes hatten die Führungsgremien
der Sudetendeutschen Landsmannschaft und das Präsidium des Sudetendeutschen
Rates am 14. Dezember 1996 in einer gemeinsamen Sitzung in München erklärt, daß
sie dieser Erklärung nicht zustimmen können. Über das Ratspräsidium waren auch
die drei sudetendeutschen Gesinnungsgemeinschaften eingebunden. Bei einer
einzigen Enthaltung, die aber nicht aus den Gesinnungsgemeinschaften kam, gab es
ein einhelliges Nein zur Deutsch-tschechischen Erklärung!
Es fällt mir
daher leicht, meine Ausführungen nicht nur aus witikonischer Sicht sondern auch
aus landsmannschaftlicher Sicht zu machen. Leitlinie zu dieser Betrachtung sind
die in den Satzungen von Sudetendeutscher Landsmannschaft und Witikobund
festgelegten Ziele. In der Neufassung der Satzung der Sudetendeutschen
Landsmannschaft vom 1. Dezember 2002 heißt es dazu, „den Rechtsanspruch auf
die Heimat, deren Wiedergewinnung und das damit verbundene
Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe durchzusetzen; das Recht auf Rückgabe
bzw. gleichwertigen Ersatz oder Entschädigung des konfiszierten Eigentums der
Sudetendeutschen zu wahren.“ Die Satzung des Witikobundes nennt die
„Wiedergutmachung des Vertreibungsunrechtes im Sinne einer Wiederherstellung
der allgemeinen Gerechtigkeit und der Rückgabe des konfiszierten Vermögens auf
der Basis eines gerechten Ausgleichs“.
Zum Anspruch
der Deutsch-tschechischen Erklärung, bei deren Zustandekommen die
Sudetendeutsche Volksgruppe keinerlei Mitgestaltungsmöglichkeit hatte, wurde an
diesem 14. Dezember 1996 von den eingangs genannten Gremien erklärt, „daß
diese Deklaration weder den berechtigten Anliegen der Sudetendeutschen gerecht
wird, noch der echten Aussöhnung zwischen dem deutschen und tschechischen Volk
dient.“
Zu einer
Würdigung der Deutsch-tschechischen Erklärung lassen Sie mich bitte auszugsweise
aus einem Text zitieren, den ich am 20. Dezember 1996 in der Wochenzeitung
„Junge Freiheit“ als Mitglied des Sudetendeutschen Rates und Vizepräsident der
SL-Bundesversammlung unter der Überschrift „Verhöhnung statt Versöhnung“
veröffentlichte, wobei ich mit dieser Überschrift auf Volksgruppensprecher Franz
Neubauer zurückgriff.
„Da liegt es
nun vor, dieses vom offiziellen Bonn beschworene Papier. Einige wenige, die eine
frühere Fassung kannten, müssen feststellen, daß alle Warnungen und
Gesprächsangebote der Sudetendeutschen nichts gefruchtet haben. Weggefallen ist
lediglich die ‚Mitwirkung tschechoslowakischer Bürger deutscher Abstammung an
der Zerschlagung der CSR‘ Damit wollte man das legitime, auf dem
Selbstbestimmungsrecht fußende Wirken der Sudetendeutschen herabsetzen. Und
verschwieg, daß die Abtretung der deutschen Gebiete von einem Staat, der 1918
gar nicht geschaffen werden durfte, von der britischen und französischen
Regierung - vor dem Münchener Abkommenl - ultimativ durchgesetzt wurde
Neu und
völlig abwegig ist in dem Text die ‚Flucht und Vertreibung von
Menschen‘
nach 1938 aus
den deutschen Gebieten, eine raffinierte Umschreibung der Geschichtslegende, daß
Tschechen vertrieben worden seien.
Kausale
Zusammenhänge der NS-Gewaltpolitik und des Verbrechens der Vertreibung sind
falsch. Die Erklärung gibt damit der tschechischen Seite eine Alibibegründung
für die Vertreibung, die das wesentlich mehr geschädigte Frankreich als
Kulturnation gegenüber dem Saarland eben nicht angewandt hat
In der Heimat
verbliebene Sudetendeutsche, die als tschechische Staatsbürger deutscher
Volkszugehörigkeit sind, dürfen nicht länger entgegen allen internationalen
Normen als Menschen minderen Rechts behandelt werden, wie es der kürzlich
verstorbene Sudetendeutsche Hans Klein dem Bundeskanzler schreiben mußte. Deren
Vermögensrestitution ist bevorzugt zu betreiben. Die Sudetendeutschen können dem
deutsch-tschechischen Zukunftsfond nur zustimmen, wenn er tschechischen
NS-Opfern und Opfern der Vertreibung gleichermaßen zugute
kommt.
Die
Bundesregierung hat die Sudetendeutschen bei den Verhandlungen fast so
ausgegrenzt, wie sie es 1919 beim Diktat von St. Germain erleben mußten. Selbst
die Regierung Brandt/Scheel verhielt sich 1973 beim ersten Prager Vertrag
anders.“
Soweit einige
Auszüge aus meinem damaligen Presseartikel: Ich brauche heute nichts zu
korrigieren, alle Befürchtungen haben sich leider erfüllt. Der in meinem Beitrag
genannte Zukunftsfonds wurde von der deutschen Seite mit 140 Mio. DM, von
tschechischer Seite mit 20 bzw. 25 Mio. DM finanziert. In einem begleitenden
Schreiben zur Deutsch-tschechischen Erklärung hatten sich die Außenminister
Klaus Kinkel und Josef Zieleniec darauf verständigt, die Mittel des Fonds „zu
einem überwiegenden Teil für Projekte zugunsten von Opfern
nationalsozialistischer Gewalt zu verwenden“.
Und so ist es
auch gekommen. Die Entschädigung für sudetendeutsche Zwangsarbeiter und für in
der Heimat verbliebene Landsleute beträgt bis heute Null!
Das Drama der
Deutsch-tschechischen Erklärung begann für mich am 17. Mai 1996. In München
kamen Bundesvorstand und Ältestenrat zusammen, um aus dem Munde von Franz
Neubauer erste Bruchstücke aus der Deutsch-tschechischen Erklärung zu erfahren,
die ihm Außenminister Kinkel in Bonn auszugsweise vorgelesen hatte, also nicht
vielleicht vertraulich
ausgehändigt
oder wenigstens zum Lesen gegeben hätte. Aus den Bruchstücken eines vom Lm.
Neubauer angefertigten Gedächtnisprotokolls erfuhren wir Details, die für mich
heute belegen, daß es - trotz gegenteiliger Behauptungen - zu einer inhaltlichen
Verbesserung durch die CSU bis zur Endfassung eben nicht gekommen ist. Neun Tage
später, am Pfingstsonntag 1996, erlebten die Landsleute einen ungewöhnlich
engagierten Schirmherrn. Ministerpräsident Stoiber drohte denen Schlimmes an,
die die Sudeten-deutschen mit der Deutsch-tschechischen Erklärung hintergehen
wollten. Die landsmannschaftliche Ernüchterung kam noch vor Jahresende, als
wiederum Bundesvorstand und Ältestenrat mit dem Präsidium des Sudetendeutschen
Rates am 14. Dezember 1996 - wie eingangs erwähnt - zusammenkamen. Der
endgültige Text der Deutsch-tschechischen Erklärung war bekannt geworden. Die
Veröffentlichung in der Tageszeitung DIE WELT datiert vom 11. Dezember 1996,
Prof. Blumenwitz gab am selben Tage eine vernichtende Bewertung
ab.
Die
landsmannschaftliche Öffentlichkeit nahm allmählich den Umfall Stoibers gewahr,
der sich in einer Presseerklärung des Bayerischen Ministerrates vom 6. Januar
1997 manifestierte:
„Die
Staatsregierung habe Verständnis dafür, so Stoiber, daß diese Erklärung vor
allem die Sudetendeutschen, die die Vertreibung am eigenen Leib erlebt haben,
nicht zufriedenstellen kann. ... Die deutsche Seite bekennt sich deutlich zur
Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen währen der Nazi-Zeit. Die
Staatsregierung vermißt, daß die tschechische Seite ihrerseits nicht eindeutig
und klar die Vertreibung der Sudetendeutschen als Unrecht verurteilt.“ Beachten
Sie die Wortwahl: Deutschland - Verbrechen, Vertreibung -
Unrecht!
Beim
Sudetendeutschen Tag 1997 in Nürnberg erlebte das Ehepaar Stoiber einen von
Mißfallenskundgebungen begleiteten Empfang. Ich erwähne dies nicht aus
persönlicher Genugtuung, sondern damit wir aus Fehlern lernen, gerade heute und
für die Zukunft! Ich hatte durch Gespräche und Telefonanrufe noch nie so eine
aufgeregte landsmannschaftliche Öffentlichkeit erlebt, wie es um die Jahreswende
1996/1997 der Fall war. Eine hervorragende ablehnende Stellungnahme hatte unser
sudetendeutscher Weihbischof Gerhard Pieschl in einer Stellungnahme des
Katholischen Flüchtlingsrates und mit persönlichen Briefen an Bundespräsident
und Bundeskanzler abgegeben. Leider muß ich feststellen, daß es auch mir nicht
gelang, seinen persönlichen Wunsch auf Veröffentlichung in der Sudetendeutschen
Zeitung durchzusetzen! Ein bemerkenswerter Umstand, der sich nie ganz aufklären
ließ.
Ein letzter
Versuch wurde von mir am 5. Januar 1997 mit einem Protest an die in Wildbad
Kreuth zusammentretende CSU-Landesgruppe unternommen. Vier bayerische
SL-Bezirksobleute, mehrere Landschaftsbetreuer und Mitglieder der
SL-Bundesversammlung sowie des Sudetendeutschen Rates appellierten an die
CSU-Abgeordneten, die Deutsch-Tschechische Erklärung abzulehnen. Auch dies
führte nicht zum Erfolg, wie die am 30. Januar 1997 erfolgte Abstimmung im
Deutschen Bundestag ergab; dabei ist anzumerken, daß es sich nicht um die
Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrages handelte: Bei 620 abgegebenen
Stimmen stimmten 577 Abgeordnete mit Ja, 20 mit Nein, 23 enthielten sich. Unter
den Neinstimmen, die ausschließlich von der CDU/CSU kamen, waren vertreten: Dr.
Egon Jüttner, Dr. Erich Riedl (München), Kurt J. Rossmanith, Erika Steinbach,
Dr. Fritz Wittmann.
Ich schließe
diese Betrachtung mit einer Reaktion meines Freundes Dr. Rudolf Hilf, der im
Januar 1997 in einer großen tschechischen Tageszeitung u.a. schrieb.
„Glückwunsch, Herr Minister. Mit diesem Glückwunsch ist nicht der deutsche
Außenminister gemeint, sondern der tschechische, Herr Zieleniec. Warum? Weil er
und sein Team . .
.erreicht
haben, was man sich seit der Rede von Staatspräsident Havel
vom
17. November
1995 vorgenommen hat: daß die Bundesrepublik Deutschland erklärt, daß die Sache
der Sudetendeutschen ‚politisch und rechtlich‘ kein Verhandlungsgegenstand mehr
zwischen den beiden Staaten ist. Natürlich bin ich als Sudetendeutscher absolut
gegen dieses Ergebnis, aber ich anerkenne die Leistung der tschechischen
Diplomatie. ...
Wen ich
allerdings verachte, ist die Regierungskoalition, die zwei Jahre lang den
Sudetendeutschen versicherte, daß man sie nicht in Stich lassen werde, was nun
geschehen ist.“
An die
Unterzeichnung der Erklärung in Prag schloß sich eine Pressekonferenz an, bei
der Bundeskanzler Kohl feststellte, daß die Erklärung „kein Vertrag“ sei und daß
es „eine Reihe von Fragen gibt, die wir durch diese Erklärung nicht aus der Welt
schaffen“; dazu gehöre „die Vermögensfrage, die bleibt natürlich offen“. Auch in
einem Schreiben vom 14. Januar 1997 an das liechtensteinische Staatsoberhaupt
stellt Kohl fest, daß die Deutsch-tschechische Erklärung die „Rechtsfragen im
Zusammenhang mit Enteignungen in der damaligen Tschechoslowakei
offenhält“.
Der
Völkerrechtler Prof. Dr. Rudolf Dolzer, seit 1996 Professor an der Juristischen
Fakultät der Universität Bonn, interessanterweise von 1992 bis 1996
Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt, bezeichnete 2003 nach einer von ihm
erstellten gutachtlichen Stellungnahme die Deutsch-tschechische Erklärung als
obsolet; Prag habe den damals vereinbarten politischen Rahmen im Jahr 2002 mit
einer Reihe von Äußerungen eindeutig verlassen. - Insofern ist zum jetzigen
Zeitpunkt auch die Bundesrepublik wieder rechtlich und politisch frei in der
Bestimmung des eigenen Standpunktes.
Ich meine,
daß man sich dieser Auffassung von Prof. Dolzer sehr gut anschließen
kann.
Leider muß
man dazu feststellen, daß dieser Spielraum nicht genutzt wird. Im Gegenteil, so
verschickt auch das Bundeskanzleramt unter Angela Merkel an beschwerdeführende
Vertriebene Briefe in denen es heißt:
„Die
Bundesregierung hat erklärt, daß sie weder heute noch in Zukunft im Zusammenhang
mit der Vertreibung und entschädigungslosen Enteignung von Deutschen
Vermögensfragen aufwerfen wird. Individualansprüche deutscher Staatsangehöriger
wegen der Enteignungen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg bestehen nach
Auffassung der Bundesregierung nicht. Ebenso wenig können zwischenstaatliche
Ansprüche von Deutschland geltend gemacht werden. Auch Ansprüche gegen die
Bundesrepublik bestehen nicht.“
Es ist das
Geheimnis von Frau Merkel, wieso ihr Vorgänger Helmut Kohl vor zehn Jahren in
Prag die Vermögensfrage als offen erklärte, sie aber nun davon abrückt. Hier
sind die Sprecher der Landsmannschaften und das BdV-Präsidium zu einem
energischen Protest bei der Bundeskanzlerin gefordert. Mit Stillschweigen bewegt
sich nichts!
Ein
Haupthindernis bei diesen Vermögensfragen, aber leider in der Öffentlichkeit
kaum bekannt, ist die sogenannte „teilweise Fortgeltung des
Überleitungsvertrages“. Worum geht es hier?
Im Jahr 1952
schloß Adenauer mit den drei Westmächten den wohl bedeutsamsten Vertrag seiner
Kanzlerschaft, den sogenannten Deutschlandvertrag, der in Artikel 7 eine „frei
vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland“ anstrebte, wobei
„die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung
aufgeschoben werden muß“. Statt einer konsequenten
Umsetzung nach dem Fall der Mauer offerierte die Regierung Kohl bereits im
Frühjahr 1990 der US-Regierung eine Streichung des gesamtdeutschen Artikels 23
GG. Im Zuge des 2+4-Vertrages,
der am 15. März 1991 in Kraft trat (Anmerkung B.-J. Fischer: der nicht vom Deutschen Volk ratifiziert
wurde), kam es auch dazu.
Von
der Öffentlichkeit unbeachtet, weil keine parlamentarische Behandlung stattfand,
vereinbarte die Regierung Kohl/Genscher in einem Notenwechsel vom 27./28.
September 1990 mit den drei Westmächten - aber nicht mit der Sowjetunion! -‚ daß Teile des sogenannten
„Überleitungsvertrages“ fortgelten sollten. Und daran kranken heute alle
unsere rechtlichen Überlegungen! Mit dem Überleitungsvertrag wird der „Vertrag
vom 26. Mai 1952 zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen in der
gemäß Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes vom 23. Oktober 1954
geänderten Fassung“ verstanden. Dieser Überleitungsvertrag brachte den Übergang
vom Besatzungsregime zu einer teilsouveränen Bundesrepublik. Und in dieser
Situation leben wir wegen dieses Notenwechsels heute noch.
Der leider
vor zwei Jahren plötzlich verstorbene Völkerrechtler Prof.
Blumenwitz, ein engagierter Freund der Vertriebenen, hat dies einmal
so umrissen: Seit dem
Inkrafttreten des 2÷4-Vertrages ist die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der
Sowjetunion — und damit gegenüber dem heutigen Rußland — vollsouverän, gegenüber
den drei Westmächten aber nur teilsouverän. Bewirkt hat dies der
vorgenannte Notenwechsel der Regierung Kohl/Genscher. Im wissenschaftlichen
Schrifttum ist bisher nichts zu finden, warum dieser Notenwechsel vorgenommen
wurde. Tatsache ist, daß
13 Artikel des Überleitungsvertrages
teilweise oder ganz für die Bundesrepublik in Kraft geblieben sind.
Bei einer Tagung der Studiengruppe Politik und Völkerrecht am 13. März 1998 in
Bonn bezeichnete Prof. Blumenwitz - nach meiner Mitschrift - das Ergebnis des
Notenwechsels als Skandal, die gleichzeitige Beschränkung
der Teilsouveränität gegenüber den fünf mitteldeutschen Bundesländern nannte er
einen Hauptskandal.
Daß diese
Fakten nicht rein theoretische Bedeutung haben, sondern vor allem für die von Vertriebenen
angestrengten Klagen von größter Bedeutung sind, zeigt der sogenannte
liechtensteinische
Bilderstreit. Ein Gemälde im Wert von ca. 500.000 DM, das 1945
unstreitig in liechtensteinischem Besitz war, war aufgrund des Benesch-Dekrets
Nr. 12 konfisziert worden und gelangte 1991 als Leihgabe an eine Ausstellung
nach Köln. Die vom Fürsten Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein veranlaßte Beschlagnahme durch einen
Gerichtsvollzieher scheiterte am nachzubefolgenden westalliierten
Besatzungsrecht. Klagen des Fürsten vor dem LG Köln, dem OLG Köln und
dem Bundesgerichtshof, die zwischen Oktober 1995 und September 1997 ergingen,
führten schließlich zum Beschluß der 3. Kammer des
Zweiten Senats des Bundesverfassungs-gerichts vom 28. Januar 1998: Durch die Fortgeltung des
Überleitungsvertrages „können Klagen wegen bestimmter, im Zusammenhang mit dem
Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland gerichteter Maßnahmen in Deutschland nicht
erhoben werden“. Dabei nahm die Kammer Maßnahmen hin, „die nach der
Intention des handelnden Staates gegen deutsches Vermögen gerichtet waren“, eine
bemerkenswerte Umschreibung der Beneschdekrete. In einer Pressemitteilung der
Anwälte des Fürsten vom 29. Juli 1998 wird die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts als „Mißachtung der Eigenstaatlichkeit Liechtensteins
sowie der Verletzung der Rechte des Fürsten als Privatperson und Staatsoberhaupt
eines souveränen und neutralen Staates gerügt“. Daraus folgte eine Menschenrechtsbeschwerde des Fürsten
von Liechtenstein gegen die Bundesrepublik Deutschland vor der Europäischen
Kommission für Menschenrechte in Straßburg. Da diese erfolglos war, klagte der Fürst vor dem
Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Da auch dies nicht zum Ziel
führte, kann man erkennen, welche Problematik sich hier klageführenden
Landsleuten und Vertriebenen stellt. Die Probleme, vor denen wir hier stehen,
sind am besten mit einer 11seitigen Stellungnahme von Prof. Blumenwitz zur
Verfassungsgerichtsentscheidung gegen den Fürsten von und zu Liechtenstein
umrissen, aus der ich nur kurz zitieren kann:
Die
Klage „scheiterte am sog. Klageausschluß des im wiedervereinigten Deutschland
nachzubefolgenden westalliierten Besatzungsrechts“. Zu
Konsequenzen für die Sudetendeutsche Landsmannschaft formulierte Blumenwitz:
„Wenn schon neutrales, liechtensteinisches Vermögen zum Zweck der Reparation
(mit der Folge von Klagestopp und Einwendungsverzicht) beschlagnahmt werden
durfte, dann gilt dies erst recht für das deutsche/volksdeutsche Eigentum, ...
Damit hat das
Bundesverfassungsgericht die von der Bundesregierung immer wieder vorgetragene
These von der Offenheit der
Vermögensfrage nicht nur nicht respektiert, sondern argumentativ widerlegt. Die vom
Bundesverfassungsgericht akzeptierte und von der Bundesregierung gebilligte
Auslegung des Art. 3 Teil VI Überleitungsvertrag ermöglicht es der tschechischen
Seite „jede Beschlagnahme, die irgendwie mit dem Krieg gegen Deutschland in
Zusammenhang steht, deutscher
Gerichtsbarkeit und Zuständigkeit zu entziehen. Die Betroffenen sind de jure
und de facto schutzlos“. An dieser Bewertung hat sich bis heute nichts
geändert!
Ich füge
diesem wahrlich betrüblichen Sachverhalt noch einige Anmerkungen bei, die sich
aus Aktivitäten des von mir geleiteten Benrather Kreises ergaben. Diese
Arbeitsgemeinschaft hatte 1974 die erste Verfassungsbeschwerde gegen den Prager
Vertrag mit Prof. Fritz Münch eingereicht. Nachdem das Bayerische
Justizministerium nach eigenem Bekunden sich mit den von mir vorgetragenen
Fragen bisher nicht befaßt hat, richtete der Benrather Kreis am 12. Februar 2002
die gleichlautende Anfrage an das Bundesjustizministerium, „ob die noch
geltenden Bestimmungen des Überleitungsvertrages den Ansprüchen der Vertriebenen
auf a) Restitution ihres Eigentums und b) Strafverfolgung von
Vertreibungsverbrechen entgegenstehen“. Bereits am 21. Februar 2002 wurde zum
Art. 3 des sechsten Teils des Überleitungsvertrages mitgeteilt, daß sich Abs. 3
auf die Rechtsverfolgung durch die Betroffenen bezieht. Damit ist eine „Klage
vor Gerichten des Staates, die das Eigentum in Anspruch genommen haben“, nicht
verwehrt, „vor den durch Art. 3 Abs. 3 gebundenen deutschen Gerichten ist eine
derartige Klage jedoch unzulässig“. Dies bedeutet im Klartext, daß
Sudetendeutsche nur vor tschechischen Gerichten klagen können. Schon die
bisherige Praxis des Auswärtigen Amtes, beschwerdeführende Bürger auf den
Rechtsweg in Polen oder in der Tschechischen Republik zu verweisen, kommentierte
Prof. Blumenwitz als eine Zumutung.
An dieser
Stelle gebe ich Ihnen nun auszugsweise einen Text zur Kenntnis, der diese
verfahrene Situation aufbrechen soll. Es ist dies ein „Aufruf zur Fortsetzung
unseres Rechtskampfes“, der erstmalig am 14. September 2006 in der in Linz in
Osterreich erscheinenden SUDETEN-POST veröffentlicht wurde. Beim heutigen
Sudetendeutschen Tag wird der Text als Flugblatt vorgestellt. Es heißt darin
auszugsweise:
Das Leitwort
des Sudetendeutschen Tages 2006 „Vertreibung ist Völkermord - dem
Recht auf die Heimat gehört die Zukunft“ ist die aktuelle Antwort auf den seit
Bestehen der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) geführten Rechtskampf der
Volksgruppe.
Die
satzungsgemäßen Ziele der SL - Recht
auf die Heimat, deren Wiedergewinnung und Durchsetzung des
Selbstbestimmungsrechtes - sind durch mangelnde Unterstützung der
politisch relevanten Kräfte der Bundesrepublik Deutschland weiterhin ungelöste
Ziele.
Leider werden
auch Regierung und Parlament der Tschechischen Republik, Nachfolgestaat der für
die Vertreibung verantwortlichen Tschechoslowakei, durch die Bundesrepublik
Deutschland nicht an der Fortsetzung ihrer menschenrechtswidrigen Politik, dem
Fortbestehen der Vertreibung, gehindert. Die Deutsch-tschechische Erklärung von
1997 ist inzwischen obsolet.
Seit dem Jahr
1972 haben Bund der Vertriebenen und Landsmannschaften den Rechtsweg vor
nationalen und europäischen Instanzen aber ohne durchgreifenden Erfolg
beschritten. Die Offenhaltung der Rechtspositionen kann auf die Dauer nicht
befriedigen.
Es
liegt in unserem Interesse, daß über die Begriffe „Völkermord/Genozid“,
„
Ethnische Säuberung“ und „Abschub/Odsun“ von deutschen, tschechischen,
europäischen und amerikanischen Völkerrechtlern in internationalen Gutachten
im Zusammenhang mit unserer Vertreibung ausreichende Klarheit in kürzester
Frist geschaffen wird.
In
dieser Situation rufen wir unsere sudeten-deutschen Landsleute zur Finanzierung
eines Rechtsfonds auf, mit dem zunächst internationale Gutachten zur weiteren
Vorgehensweise erstellt werden sollen. Anhand dieser Gutachten werden sich
entsprechende politische und rechtliche Schritte ergeben.
Der
Formulierung dieses Aufrufs gingen eingehende Bemühungen innerhalb der
Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft voraus, die schließlich
zur Bildung eines Arbeitskreises
„Völkermord“ führte, dessen Vorsitz ich innehabe. Sehr zu Hilfe kam
mir ein mehrstündiger Meinungsaustausch mit dem in Genf lebenden Völkerrechtler,
Prof. Dr. Alfred M. de Zayas, im März 2005. Wir erörterten die Möglichkeiten zur
Durchsetzung unserer Rechtsansprüche. Prof. de Zayas legte dar, daß
es bei diesen Verfahren weniger auf die Zusammensetzung der Gerichte,
auch nicht auf die vertretenden Anwälte, sondern in erster Linie auf die
Qualität der mit der Erstellung von wissenschaftlichen Gutachten betrauten
Wissenschaftler ankommt.
Neben der von
mir ausführlich geschilderten Problematik mit der teilweisen
Fortgeltung des Überleitungsvertrages haben wir aber noch einige
andere Problemfelder zu überwinden. Ich denke hier an die Präsidentin des Bundes
der Vertriebenen, die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, die sich zum
wiederholten Male gegen die Aktivitäten der Preußischen Treuhand gewandt hat.
Bei der zentralen Veranstaltung zum Tag der Heimat 2004 in Berlin hat sich Frau Steinbach sogar
für eine „materielle Nullösung“
ausgesprochen, wenn sie friedensstiftend wirkt. Eine derartige Nullösung
würde eine Entschädigung der Vertriebenen ausschließlich durch die
Bundesrepublik Deutschland bedeuten! Meiner Meinung nach würde dies selbst den
gutmütigsten Binnendeutschen auf die Palme bringen. Frau Steinbach hat bei ihrer
Rede in Berlin auch ausgeführt, „gemessen an der Zahl der möglichen
Interessenten ist das Klageinteresse wirklich mehr als kümmerlich. Das spricht
doch Bände.“ Ich frage, woher weiß Frau Steinbach dies so genau? Auch die
BdV-Bundessatzung verpflichtet in §
2 Zf. ld den
Verband, “für die Wahrung der Rechte am Eigentum, das der Verfügung der
Vertriebenen entzogen ist“, einzutreten. Ich habe übrigens noch nie einen
Vertriebenen getroffen, der bereit wäre, auf seine Eigentumsansprüche
einschließlich etwaiger Entschädigungszahlungen aus Berlin, Prag und Warschau zu
verzichten. Was ist also zu tun? Ich möchte Sie bitten, den „Aufruf zur
Fortsetzung unseres Rechtskampfes“ zu unterstützen, ihn zu verbreiten,
insbesondere aber an Ihnen nahestehende Vertriebenen-zeitungen, Heimatblätter
und ähnliche Organe zu geben.
Parallel
sollten wir aber in den einzelnen Landsmannschaften und im BdV eine Initiative
mit dem Ziel starten, daß die teilweise
Fortgeltung des Überleitungsvertrages beseitigt wird. Erst dadurch
sind Klagemöglichkeiten in Deutschland gegeben, wie ich Ihnen dargelegt habe.
Wer ist anzusprechen? Einmal die Vorstände in den Landsmannschaften und im BdV,
zum anderen Abgeordnete der Landtage und des Bundestages. Vor allem ist in dieser Sache
eine intensive Öffentlichkeitsarbeit nötig. Petitionen sollten an die
Landesregierungen gerichtet werden; Endstation ist die Bundesregierung, die über
die Botschafter der drei Westmächte eine Annulierung des Notenwechsels vom
27/28. September 1990 anstreben muß.
Zieht man
eine Bilanz unserer Situation so fällt sie nicht besonders gut aus. Woran liegt
das? Vielleicht brauchen wir in Berlin nicht nur ein Zentrum gegen Vertreibungen,
das den Opfern gewidmet ist, sondern auch eine zentrale Institution zur
Verfolgung unserer Rechtsansprüche. Vielleicht liegt es aber auch an
uns? Der Fall der griechischen Zypriotin Titania Loizidou, vertrieben 1974 - und
drei Jahrzehnte später - nach einem Menschenrechtsgerichtsverfahren in Straßburg
- von der türkischen Regierung mit einem Scheck über 1,12 Millionen € für ihr
Haus in Nordzypern ausgestattet, zeigt in der Tat, daß die Eigentumsansprüche
neben dem Tatbestand des unverjährbaren Völkermordes der Vertreibung von
äußerster Brisanz sind. Frau Loizidou hatte ihre Ansprüche allerdings mit einem
Marsch von mehreren Tausend Frauen an die Demarkationslinie in Nordzypern
begonnen. Wo bleiben Aktionen dieser Art bei uns?
Einen
Lichtblick sehen wir in dem „1. Internationalen Kongreß der Vertriebenen
und Flüchtlinge in Europa“, der vom 29. bis 31. März 2007 in Triest tagte.
In der „Erklärung von Triest“ heißt es: „Wir, die vertriebenen, geflüchteten und
deportierten Völker und Volksgruppen Europas fordern alle, insbesondere die für
Flucht, Vertreibung und Deportation in Europa verantwortlichen Staaten und
Institutionen auf, das begangene Unrecht im Sinne des internationalen Menschen-
und Völkerrechts anzuerkennen, wiedergutzumachen, die dabei begangenen
Verbrechen zu verurteilen und die Rückkehr zu
ermöglichen.“
1996 brachte
ich eine Sammeledition von 24 Autoren beim Leopold Stocker Verlag in Graz mit
dem Titel „Von Prag nach Sarajewo. Vertreibung und Wiedergutmachung“ heraus.
Anstoß war für mich die sich anbahnende Deutsch-tschechische Erklärung. Ende
August 1995 hatte der tschechische Außenminister Zieleniec eine
„Schlußpunkt-Erklärung von Bonn angemahnt. Er „betrachte es als unerläßlich, daß
gesagt wird, daß wir uns niemals wieder mit den juristischen und politischen
Aspekten der Vergangenheit beschäftigen werden“. Es wäre undenkbar, daß ein
bundesdeutscher Minister jemals eine derartige Äußerung im Hinblick auf die
Verbrechen des Dritten Reiches gemacht hätte! Ein weiterer Anstoß zu der Edition
waren die unsäglichen Vorgänge, die sich in dem jugoslawischen Zwangsstaat
abspielten, der zweiten Schöpfung der Pariser Vorortsdiktate — nach dem
tschechoslowakischen Zwangsstaat. Lassen Sie mich zum Abschluß aus meinem
eigenen Beitrag zitieren, weil ich glaube, daß ich auch nach zehn Jahren nichts
abzuändern brauche, während die Deutsch-tschechische Erklärung nichts, aber auch
gar nichts gebracht hat. Ich schrieb damals:
„Eine
für beide Seiten annehmbare Lösung sollte positive Elemente der europäischen
Einigung integrieren. Es wäre aber zu billig, nur auf eine Freizügigkeit für
Menschen und Güter zu setzen. Das Europa der Zukunft wird kein Bundesstaat sein,
sondern ein Bund freier Staaten, die bestimmte Souveränitätsrechte auf die
Europäische Union übertragen. Dazwischen sollten Regionen geschaffen werden, um
Spannungsherde zu beseitigen. Damit sind nicht Modelle wie die Euregio egrensis
gemeint, die ohnehin vor allem wirtschaftliche Aspekte
haben.
Prinzipiell
sollten die ost- und sudetendeutschen Gebiete in mehrere europäische Regionen
überführt werden, die als Selbstverwaltungskörper nationalstaatlichem Eingriff
entzogen sind.
Merkwürdigerweise
haben sich die Vertriebenen betreffs der zugezogenen Bevölkerung eine
vordergründige Diskussion über eine ‚zweite Vertreibung‘ aufnötigen lassen. Es
ist niemand bekannt, der unrechtmäßige Zielsetzungen vertritt, trotzdem werden
öffentliche Diskussionen mit Vorliebe auf dieses Thema gebracht.
Selbstverständlich müssen Eigentumsfragen in den Regionen nach rechtsstaatlichen
Grundsätzen gelöst werden. Staatliches Eigentum nach dem Stand vom 8. Mai 1945
sollte den Regionen übergeben werden, privates Eigentum dieses Stichtages ist
dem privaten Eigentümer zurückzugeben. Dem jetzigen Bewohner sollte ein
Wohnrecht mit Kündigungsschutz zustehen.“
In aller
Offenheit muß gesagt werden, daß eine individuelle Rückkehr in die
Vertreibungsgebiete - selbst bei Rückerstattung des Eigentums - illusorisch ist,
wenn diese unter nationaler Souveränität der Vertreiberstaaten verbleiben.
Praktisch niemand würde das enorme Risiko für seine persönliche Sicherheit auf
sich nehmen.
Ich sprach
vorhin von den europäischen Regionen, in die unsere Heimatgebiete aufgehen
könnten. Denken wir bitte an die europäische Region Tirol, die es erst in
Grundzügen gibt, aber von den Tirolern weiter angestrebt wird. Schon seit Jahren
können wir am Brenner von Nordtirol nach Südtirol fahren, ohne daß uns
Grenzbeamte oder Karabinieri begegnen. Mit etwas Phantasie bewegen wir uns in
einem Land Tirol. Lassen Sie uns das gleiche mit Zuversicht, aber auch
Engagement anstreben, wenn wir von Schirnding nach Eger, von Bad Schandau nach
Tetschen-Bodenbach oder von Neisse nach Freiwaldau fahren wollen! Dies verstehe
ich unter einer künftigen Entwicklung deutsch-tschechischer
Beziehungen.
DER
WITIKOBRIEF
Hrg.
Witikobund e.V.
Eggergasse
12, 84160 Frontenhausen
Homepage: www.witikobund.de
(Farbliche
und textliche Hervorhebungen nachträglich durch B.-J.
Fischer)
Vortrag zum Herunterladen der Original-Version als PDF-Datei http://www.rsv.daten-web.de/Germanien/Vortrag_Schnuerch_Veranstaltung_Witikobund_20070526.pdf
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