Vollständiger Redetext der Vortragsveranstaltung des Witikobundes im Rahmen des Sudetendeutschen Tages 2007

in Augsburg; Samstag, 26. Mai 2007, 17.00 Uhr; Messezentrum - TC Ebene 2, Raum 2.24

 

Zehn Jahre Deutsch-Tschechische Erklärung - Anspruch und Wirklichkeit aus witikonischer Sicht

 

Referent:

Roland Schnürch, Vorsitzender des Hauptausschusses und des Arbeitskreises „Völkermord“ der SL-Bundesversammlung

 

Liebe Landsleute, liebe Kameradinnen und Kameraden!

 

Am 21. Januar 1997 unterzeichnete Bundeskanzler Kohl die „Deutsch-tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung“ in Prag. Unmittelbar nach Bekanntwerden des endgültigen Textes hatten die Führungsgremien der Sudetendeutschen Landsmannschaft und das Präsidium des Sudetendeutschen Rates am 14. Dezember 1996 in einer gemeinsamen Sitzung in München erklärt, daß sie dieser Erklärung nicht zustimmen können. Über das Ratspräsidium waren auch die drei sudetendeutschen Gesinnungsgemeinschaften eingebunden. Bei einer einzigen Enthaltung, die aber nicht aus den Gesinnungsgemeinschaften kam, gab es ein einhelliges Nein zur Deutsch-tschechischen Erklärung!

 

Es fällt mir daher leicht, meine Ausführungen nicht nur aus witikonischer Sicht sondern auch aus landsmannschaftlicher Sicht zu machen. Leitlinie zu dieser Betrachtung sind die in den Satzungen von Sudetendeutscher Landsmannschaft und Witikobund festgelegten Ziele. In der Neufassung der Satzung der Sudetendeutschen Landsmannschaft vom 1. Dezember 2002 heißt es dazu, „den Rechtsanspruch auf die Heimat, deren Wiedergewinnung und das damit verbundene Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe durchzusetzen; das Recht auf Rückgabe bzw. gleichwertigen Ersatz oder Entschädigung des konfiszierten Eigentums der Sudetendeutschen zu wahren.“ Die Satzung des Witikobundes nennt die „Wiedergutmachung des Vertreibungsunrechtes im Sinne einer Wiederherstellung der allgemeinen Gerechtigkeit und der Rückgabe des konfiszierten Vermögens auf der Basis eines gerechten Ausgleichs“.

Zum Anspruch der Deutsch-tschechischen Erklärung, bei deren Zustandekommen die Sudetendeutsche Volksgruppe keinerlei Mitgestaltungsmöglichkeit hatte, wurde an diesem 14. Dezember 1996 von den eingangs genannten Gremien erklärt, „daß diese Deklaration weder den berechtigten Anliegen der Sudetendeutschen gerecht wird, noch der echten Aussöhnung zwischen dem deutschen und tschechischen Volk dient.“

Zu einer Würdigung der Deutsch-tschechischen Erklärung lassen Sie mich bitte auszugsweise aus einem Text zitieren, den ich am 20. Dezember 1996 in der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ als Mitglied des Sudetendeutschen Rates und Vizepräsident der SL-Bundesversammlung unter der Überschrift „Verhöhnung statt Versöhnung“ veröffentlichte, wobei ich mit dieser Überschrift auf Volksgruppensprecher Franz Neubauer zurückgriff.

„Da liegt es nun vor, dieses vom offiziellen Bonn beschworene Papier. Einige wenige, die eine frühere Fassung kannten, müssen feststellen, daß alle Warnungen und Gesprächsangebote der Sudetendeutschen nichts gefruchtet haben. Weggefallen ist lediglich die ‚Mitwirkung tschechoslowakischer Bürger deutscher Abstammung an der Zerschlagung der CSR‘ Damit wollte man das legitime, auf dem Selbstbestimmungsrecht fußende Wirken der Sudetendeutschen herabsetzen. Und verschwieg, daß die Abtretung der deutschen Gebiete von einem Staat, der 1918 gar nicht geschaffen werden durfte, von der britischen und französischen Regierung - vor dem Münchener Abkommenl - ultimativ durchgesetzt wurde  

Neu und völlig abwegig ist in dem Text die ‚Flucht und Vertreibung von Menschen‘ nach 1938 aus den deutschen Gebieten, eine raffinierte Umschreibung der Geschichtslegende, daß Tschechen vertrieben worden seien.

Kausale Zusammenhänge der NS-Gewaltpolitik und des Verbrechens der Vertreibung sind falsch. Die Erklärung gibt damit der tschechischen Seite eine Alibibegründung für die Vertreibung, die das wesentlich mehr geschädigte Frankreich als Kulturnation gegenüber dem Saarland eben nicht angewandt hat    

In der Heimat verbliebene Sudetendeutsche, die als tschechische Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit sind, dürfen nicht länger entgegen allen internationalen Normen als Menschen minderen Rechts behandelt werden, wie es der kürzlich verstorbene Sudetendeutsche Hans Klein dem Bundeskanzler schreiben mußte. Deren Vermögensrestitution ist bevorzugt zu betreiben. Die Sudetendeutschen können dem deutsch-tschechischen Zukunftsfond nur zustimmen, wenn er tschechischen NS-Opfern und Opfern der Vertreibung gleichermaßen zugute kommt.

Die Bundesregierung hat die Sudetendeutschen bei den Verhandlungen fast so ausgegrenzt, wie sie es 1919 beim Diktat von St. Germain erleben mußten. Selbst die Regierung Brandt/Scheel verhielt sich 1973 beim ersten Prager Vertrag anders.“

Soweit einige Auszüge aus meinem damaligen Presseartikel: Ich brauche heute nichts zu korrigieren, alle Befürchtungen haben sich leider erfüllt. Der in meinem Beitrag genannte Zukunftsfonds wurde von der deutschen Seite mit 140 Mio. DM, von tschechischer Seite mit 20 bzw. 25 Mio. DM finanziert. In einem begleitenden Schreiben zur Deutsch-tschechischen Erklärung hatten sich die Außenminister Klaus Kinkel und Josef Zieleniec darauf verständigt, die Mittel des Fonds „zu einem überwiegenden Teil für Projekte zugunsten von Opfern nationalsozialistischer Gewalt zu verwenden“. Und so ist es auch gekommen. Die Entschädigung für sudetendeutsche Zwangsarbeiter und für in der Heimat verbliebene Landsleute beträgt bis heute Null!

Das Drama der Deutsch-tschechischen Erklärung begann für mich am 17. Mai 1996. In München kamen Bundesvorstand und Ältestenrat zusammen, um aus dem Munde von Franz Neubauer erste Bruchstücke aus der Deutsch-tschechischen Erklärung zu erfahren, die ihm Außenminister Kinkel in Bonn auszugsweise vorgelesen hatte, also nicht vielleicht vertraulich

ausgehändigt oder wenigstens zum Lesen gegeben hätte. Aus den Bruchstücken eines vom Lm. Neubauer angefertigten Gedächtnisprotokolls erfuhren wir Details, die für mich heute belegen, daß es - trotz gegenteiliger Behauptungen - zu einer inhaltlichen Verbesserung durch die CSU bis zur Endfassung eben nicht gekommen ist. Neun Tage später, am Pfingstsonntag 1996, erlebten die Landsleute einen ungewöhnlich engagierten Schirmherrn. Ministerpräsident Stoiber drohte denen Schlimmes an, die die Sudeten-deutschen mit der Deutsch-tschechischen Erklärung hintergehen wollten. Die landsmannschaftliche Ernüchterung kam noch vor Jahresende, als wiederum Bundesvorstand und Ältestenrat mit dem Präsidium des Sudetendeutschen Rates am 14. Dezember 1996 - wie eingangs erwähnt - zusammenkamen. Der endgültige Text der Deutsch-tschechischen Erklärung war bekannt geworden. Die Veröffentlichung in der Tageszeitung DIE WELT datiert vom 11. Dezember 1996, Prof. Blumenwitz gab am selben Tage eine vernichtende Bewertung ab.

Die landsmannschaftliche Öffentlichkeit nahm allmählich den Umfall Stoibers gewahr, der sich in einer Presseerklärung des Bayerischen Ministerrates vom 6. Januar 1997 manifestierte:

„Die Staatsregierung habe Verständnis dafür, so Stoiber, daß diese Erklärung vor allem die Sudetendeutschen, die die Vertreibung am eigenen Leib erlebt haben, nicht zufriedenstellen kann. ... Die deutsche Seite bekennt sich deutlich zur Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen währen der Nazi-Zeit. Die Staatsregierung vermißt, daß die tschechische Seite ihrerseits nicht eindeutig und klar die Vertreibung der Sudetendeutschen als Unrecht verurteilt.“ Beachten Sie die Wortwahl: Deutschland - Verbrechen, Vertreibung - Unrecht!

Beim Sudetendeutschen Tag 1997 in Nürnberg erlebte das Ehepaar Stoiber einen von Miß­fallenskundgebungen begleiteten Empfang. Ich erwähne dies nicht aus persönlicher Genugtuung, sondern damit wir aus Fehlern lernen, gerade heute und für die Zukunft! Ich hatte durch Gespräche und Telefonanrufe noch nie so eine aufgeregte landsmannschaftliche Öffentlichkeit erlebt, wie es um die Jahreswende 1996/1997 der Fall war. Eine hervorragende ablehnende Stellungnahme hatte unser sudetendeutscher Weihbischof Gerhard Pieschl in einer Stellungnahme des Katholischen Flüchtlingsrates und mit persönlichen Briefen an Bundespräsident und Bundeskanzler abgegeben. Leider muß ich feststellen, daß es auch mir nicht gelang, seinen persönlichen Wunsch auf Veröffentlichung in der Sudetendeutschen Zeitung durchzusetzen! Ein bemerkenswerter Umstand, der sich nie ganz aufklären ließ.

Ein letzter Versuch wurde von mir am 5. Januar 1997 mit einem Protest an die in Wildbad Kreuth zusammentretende CSU-Landesgruppe unternommen. Vier bayerische SL-Bezirksobleute, mehrere Landschaftsbetreuer und Mitglieder der SL-Bundesversammlung sowie des Sudetendeutschen Rates appellierten an die CSU-Abgeordneten, die Deutsch-Tschechische Erklärung abzulehnen. Auch dies führte nicht zum Erfolg, wie die am 30. Januar 1997 erfolgte Abstimmung im Deutschen Bundestag ergab; dabei ist anzumerken, daß es sich nicht um die Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrages handelte: Bei 620 abgegebenen Stimmen stimmten 577 Abgeordnete mit Ja, 20 mit Nein, 23 enthielten sich. Unter den Neinstimmen, die ausschließlich von der CDU/CSU kamen, waren vertreten: Dr. Egon Jüttner, Dr. Erich Riedl (München), Kurt J. Rossmanith, Erika Steinbach, Dr. Fritz Wittmann.

Ich schließe diese Betrachtung mit einer Reaktion meines Freundes Dr. Rudolf Hilf, der im Januar 1997 in einer großen tschechischen Tageszeitung u.a. schrieb. „Glückwunsch, Herr Minister. Mit diesem Glückwunsch ist nicht der deutsche Außenminister gemeint, sondern der tschechische, Herr Zieleniec. Warum? Weil er und sein Team . . .erreicht haben, was man sich seit der Rede von Staatspräsident Havel vom

17. November 1995 vorgenommen hat: daß die Bundesrepublik Deutschland erklärt, daß die Sache der Sudetendeutschen ‚politisch und rechtlich‘ kein Verhandlungsgegenstand mehr zwischen den beiden Staaten ist. Natürlich bin ich als Sudetendeutscher absolut gegen dieses Ergebnis, aber ich anerkenne die Leistung der tschechischen Diplomatie. ... Wen ich allerdings verachte, ist die Regierungskoalition, die zwei Jahre lang den Sudetendeutschen versicherte, daß man sie nicht in Stich lassen werde, was nun geschehen ist.“

An die Unterzeichnung der Erklärung in Prag schloß sich eine Pressekonferenz an, bei der Bundeskanzler Kohl feststellte, daß die Erklärung „kein Vertrag“ sei und daß es „eine Reihe von Fragen gibt, die wir durch diese Erklärung nicht aus der Welt schaffen“; dazu gehöre „die Vermögensfrage, die bleibt natürlich offen“. Auch in einem Schreiben vom 14. Januar 1997 an das liechtensteinische Staatsoberhaupt stellt Kohl fest, daß die Deutsch-tschechische Erklärung die „Rechtsfragen im Zusammenhang mit Enteignungen in der damaligen Tschechoslowakei offenhält“.

Der Völkerrechtler Prof. Dr. Rudolf Dolzer, seit 1996 Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Bonn, interessanterweise von 1992 bis 1996 Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt, bezeichnete 2003 nach einer von ihm erstellten gutachtlichen Stellungnahme die Deutsch-tschechische Erklärung als obsolet; Prag habe den damals vereinbarten politischen Rahmen im Jahr 2002 mit einer Reihe von Äußerungen eindeutig verlassen. - Insofern ist zum jetzigen Zeitpunkt auch die Bundesrepublik wieder rechtlich und politisch frei in der Bestimmung des eigenen Standpunktes.

Ich meine, daß man sich dieser Auffassung von Prof. Dolzer sehr gut anschließen kann.

Leider muß man dazu feststellen, daß dieser Spielraum nicht genutzt wird. Im Gegenteil, so verschickt auch das Bundeskanzleramt unter Angela Merkel an beschwerdeführende Vertriebene Briefe in denen es heißt:

„Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie weder heute noch in Zukunft im Zusammenhang mit der Vertreibung und entschädigungslosen Enteignung von Deutschen Vermögensfragen aufwerfen wird. Individualansprüche deutscher Staatsangehöriger wegen der Enteignungen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg bestehen nach Auffassung der Bundesregierung nicht. Ebenso wenig können zwischenstaatliche Ansprüche von Deutschland geltend gemacht werden. Auch Ansprüche gegen die Bundesrepublik bestehen nicht.“

Es ist das Geheimnis von Frau Merkel, wieso ihr Vorgänger Helmut Kohl vor zehn Jahren in Prag die Vermögensfrage als offen erklärte, sie aber nun davon abrückt. Hier sind die Sprecher der Landsmannschaften und das BdV-Präsidium zu einem energischen Protest bei der Bundeskanzlerin gefordert. Mit Stillschweigen bewegt sich nichts!

Ein Haupthindernis bei diesen Vermögensfragen, aber leider in der Öffentlichkeit kaum bekannt, ist die sogenannte „teilweise Fortgeltung des Überleitungsvertrages“. Worum geht es hier?

Im Jahr 1952 schloß Adenauer mit den drei Westmächten den wohl bedeutsamsten Vertrag seiner Kanzlerschaft, den sogenannten Deutschlandvertrag, der in Artikel 7 eine „frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland“ anstrebte, wobei „die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß“. Statt einer konsequenten Umsetzung nach dem Fall der Mauer offerierte die Regierung Kohl bereits im Frühjahr 1990 der US-Regierung eine Streichung des gesamtdeutschen Artikels 23 GG. Im Zuge des 2+4-Vertrages, der am 15. März 1991 in Kraft trat (Anmerkung B.-J. Fischer: der nicht vom Deutschen Volk ratifiziert wurde), kam es auch dazu.

Von der Öffentlichkeit unbeachtet, weil keine parlamentarische Behandlung stattfand, vereinbarte die Regierung Kohl/Genscher in einem Notenwechsel vom 27./28. September 1990 mit den drei Westmächten - aber nicht mit der Sowjetunion! -‚ daß Teile des sogenannten „Überleitungsvertrages“ fortgelten sollten. Und daran kranken heute alle unsere rechtlichen Überlegungen! Mit dem Überleitungsvertrag wird der „Vertrag vom 26. Mai 1952 zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen in der gemäß Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes vom 23. Oktober 1954 geänderten Fassung“ verstanden. Dieser Überleitungsvertrag brachte den Übergang vom Besatzungsregime zu einer teilsouveränen Bundesrepublik. Und in dieser Situation leben wir wegen dieses Notenwechsels heute noch.

Der leider vor zwei Jahren plötzlich verstorbene Völkerrechtler Prof. Blumenwitz, ein engagierter Freund der Vertriebenen, hat dies einmal so umrissen: Seit dem Inkrafttreten des 2÷4-Vertrages ist die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Sowjetunion — und damit gegenüber dem heutigen Rußland — vollsouverän, gegenüber den drei Westmächten aber nur teilsouverän. Bewirkt hat dies der vorgenannte Notenwechsel der Regierung Kohl/Genscher. Im wissenschaftlichen Schrifttum ist bisher nichts zu finden, warum dieser Notenwechsel vorgenommen wurde. Tatsache ist, daß 13 Artikel des Überleitungsvertrages teilweise oder ganz für die Bundesrepublik in Kraft geblieben sind. Bei einer Tagung der Studiengruppe Politik und Völkerrecht am 13. März 1998 in Bonn bezeichnete Prof. Blumenwitz - nach meiner Mitschrift - das Ergebnis des Notenwechsels als Skandal, die gleichzeitige Beschränkung der Teilsouveränität gegenüber den fünf mitteldeutschen Bundesländern nannte er einen Hauptskandal.

Daß diese Fakten nicht rein theoretische Bedeutung haben, sondern vor allem für die von Vertriebenen angestrengten Klagen von größter Bedeutung sind, zeigt der sogenannte liechtensteinische Bilderstreit. Ein Gemälde im Wert von ca. 500.000 DM, das 1945 unstreitig in liechtensteinischem Besitz war, war aufgrund des Benesch-Dekrets Nr. 12 konfisziert worden und gelangte 1991 als Leihgabe an eine Ausstellung nach Köln. Die vom Fürsten Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein veranlaßte Beschlagnahme durch einen Gerichtsvollzieher scheiterte am nachzubefolgenden westalliierten Besatzungsrecht. Klagen des Fürsten vor dem LG Köln, dem OLG Köln und dem Bundesgerichtshof, die zwischen Oktober 1995 und September 1997 ergingen, führten schließlich zum Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungs-gerichts vom 28. Januar 1998: Durch die Fortgeltung des Überleitungsvertrages „können Klagen wegen bestimmter, im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland gerichteter Maßnahmen in Deutschland nicht erhoben werden“. Dabei nahm die Kammer Maßnahmen hin, „die nach der Intention des handelnden Staates gegen deutsches Vermögen gerichtet waren“, eine bemerkenswerte Umschreibung der Beneschdekrete. In einer Pressemitteilung der Anwälte des Fürsten vom 29. Juli 1998 wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als „Mißachtung der Eigenstaatlichkeit Liechtensteins sowie der Verletzung der Rechte des Fürsten als Privatperson und Staatsoberhaupt eines souveränen und neutralen Staates gerügt“. Daraus folgte eine Menschenrechtsbeschwerde des Fürsten von Liechtenstein gegen die Bundesrepublik Deutschland vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte in Straßburg. Da diese erfolglos war, klagte der Fürst vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Da auch dies nicht zum Ziel führte, kann man erkennen, welche Problematik sich hier klageführenden Landsleuten und Vertriebenen stellt. Die Probleme, vor denen wir hier stehen, sind am besten mit einer 11seitigen Stellungnahme von Prof. Blumenwitz zur Verfassungsgerichtsentscheidung gegen den Fürsten von und zu Liechtenstein umrissen, aus der ich nur kurz zitieren kann:

Die Klage „scheiterte am sog. Klageausschluß des im wiedervereinigten Deutschland nachzubefolgenden westalliierten Besatzungsrechts“. Zu Konsequenzen für die Sudetendeutsche Landsmannschaft formulierte Blumenwitz: „Wenn schon neutrales, liechtensteinisches Vermögen zum Zweck der Reparation (mit der Folge von Klagestopp und Einwendungsverzicht) beschlagnahmt werden durfte, dann gilt dies erst recht für das deutsche/volksdeutsche Eigentum, ... Damit hat das Bundesverfassungsgericht die von der Bundesregierung immer wieder vorgetragene These von der Offenheit der Vermögensfrage nicht nur nicht respektiert, sondern argumentativ widerlegt. Die vom Bundesverfassungsgericht akzeptierte und von der Bundesregierung gebilligte Auslegung des Art. 3 Teil VI Überleitungsvertrag ermöglicht es der tschechischen Seite „jede Beschlagnahme, die irgendwie mit dem Krieg gegen Deutschland in Zusammenhang steht, deutscher Gerichtsbarkeit und Zuständigkeit zu entziehen. Die Betroffenen sind de jure und de facto schutzlos“. An dieser Bewertung hat sich bis heute nichts geändert!

Ich füge diesem wahrlich betrüblichen Sachverhalt noch einige Anmerkungen bei, die sich aus Aktivitäten des von mir geleiteten Benrather Kreises ergaben. Diese Arbeitsgemeinschaft hatte 1974 die erste Verfassungsbeschwerde gegen den Prager Vertrag mit Prof. Fritz Münch eingereicht. Nachdem das Bayerische Justizministerium nach eigenem Bekunden sich mit den von mir vorgetragenen Fragen bisher nicht befaßt hat, richtete der Benrather Kreis am 12. Februar 2002 die gleichlautende Anfrage an das Bundesjustizministerium, „ob die noch geltenden Bestimmungen des Überleitungsvertrages den Ansprüchen der Vertriebenen auf a) Restitution ihres Eigentums und b) Strafverfolgung von Vertreibungsverbrechen entgegenstehen“. Bereits am 21. Februar 2002 wurde zum Art. 3 des sechsten Teils des Überleitungsvertrages mitgeteilt, daß sich Abs. 3 auf die Rechtsverfolgung durch die Betroffenen bezieht. Damit ist eine „Klage vor Gerichten des Staates, die das Eigentum in Anspruch genommen haben“, nicht verwehrt, „vor den durch Art. 3 Abs. 3 gebundenen deutschen Gerichten ist eine derartige Klage jedoch unzulässig“. Dies bedeutet im Klartext, daß Sudetendeutsche nur vor tschechischen Gerichten klagen können. Schon die bisherige Praxis des Auswärtigen Amtes, beschwerdeführende Bürger auf den Rechtsweg in Polen oder in der Tschechischen Republik zu verweisen, kommentierte Prof. Blumenwitz als eine Zumutung.

An dieser Stelle gebe ich Ihnen nun auszugsweise einen Text zur Kenntnis, der diese verfahrene Situation aufbrechen soll. Es ist dies ein „Aufruf zur Fortsetzung unseres Rechtskampfes“, der erstmalig am 14. September 2006 in der in Linz in Osterreich erscheinenden SUDETEN-POST veröffentlicht wurde. Beim heutigen Sudetendeutschen Tag wird der Text als Flugblatt vorgestellt. Es heißt darin auszugsweise:

Das Leitwort des Sudetendeutschen Tages 2006 „Vertreibung ist Völkermord - dem Recht auf die Heimat gehört die Zukunft“ ist die aktuelle Antwort auf den seit Bestehen der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) geführten Rechtskampf der Volksgruppe.

Die satzungsgemäßen Ziele der SL - Recht auf die Heimat, deren Wiedergewinnung und Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechtes - sind durch mangelnde Unterstützung der politisch relevanten Kräfte der Bundesrepublik Deutschland weiterhin ungelöste Ziele.

Leider werden auch Regierung und Parlament der Tschechischen Republik, Nachfolgestaat der für die Vertreibung verantwortlichen Tschechoslowakei, durch die Bundesrepublik Deutschland nicht an der Fortsetzung ihrer menschenrechtswidrigen Politik, dem Fortbestehen der Vertreibung, gehindert. Die Deutsch-tschechische Erklärung von 1997 ist inzwischen obsolet.

Seit dem Jahr 1972 haben Bund der Vertriebenen und Landsmannschaften den Rechtsweg vor nationalen und europäischen Instanzen aber ohne durchgreifenden Erfolg beschritten. Die Offenhaltung der Rechtspositionen kann auf die Dauer nicht befriedigen.

Es liegt in unserem Interesse, daß über die Begriffe „Völkermord/Genozid“, Ethnische Säuberung“ und „Abschub/Odsun“ von deutschen, tschechischen, europäischen und amerikanischen Völkerrechtlern in internationalen Gutachten im Zusammenhang mit unserer Vertreibung ausreichende Klarheit in kürzester Frist geschaffen wird.

In dieser Situation rufen wir unsere sudeten-deutschen Landsleute zur Finanzierung eines Rechtsfonds auf, mit dem zunächst internationale Gutachten zur weiteren Vorgehensweise erstellt werden sollen. Anhand dieser Gutachten werden sich entsprechende politische und rechtliche Schritte ergeben.

Der Formulierung dieses Aufrufs gingen eingehende Bemühungen innerhalb der Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft voraus, die schließlich zur Bildung eines Arbeitskreises „Völkermord“ führte, dessen Vorsitz ich innehabe. Sehr zu Hilfe kam mir ein mehrstündiger Meinungsaustausch mit dem in Genf lebenden Völkerrechtler, Prof. Dr. Alfred M. de Zayas, im März 2005. Wir erörterten die Möglichkeiten zur Durchsetzung unserer Rechtsansprüche. Prof. de Zayas legte dar, daß es bei diesen Verfahren weniger auf die Zusammensetzung der Gerichte, auch nicht auf die vertretenden Anwälte, sondern in erster Linie auf die Qualität der mit der Erstellung von wissenschaftlichen Gutachten betrauten Wissenschaftler ankommt.

Neben der von mir ausführlich geschilderten Problematik mit der teilweisen Fortgeltung des Überleitungsvertrages haben wir aber noch einige andere Problemfelder zu überwinden. Ich denke hier an die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, die sich zum wiederholten Male gegen die Aktivitäten der Preußischen Treuhand gewandt hat. Bei der zentralen Veranstaltung zum Tag der Heimat 2004 in Berlin hat sich Frau Steinbach sogar für eine „materielle Nullösung“ ausgesprochen, wenn sie friedensstiftend wirkt. Eine derartige Nullösung würde eine Entschädigung der Vertriebenen ausschließlich durch die Bundesrepublik Deutschland bedeuten! Meiner Meinung nach würde dies selbst den gutmütigsten Binnendeutschen auf die Palme bringen. Frau Steinbach hat bei ihrer Rede in Berlin auch ausgeführt, „gemessen an der Zahl der möglichen Interessenten ist das Klageinteresse wirklich mehr als kümmerlich. Das spricht doch Bände.“ Ich frage, woher weiß Frau Steinbach dies so genau? Auch die BdV-Bundessatzung verpflichtet in § 2 Zf. ld den Verband, “für die Wahrung der Rechte am Eigentum, das der Verfügung der Vertriebenen entzogen ist“, einzutreten. Ich habe übrigens noch nie einen Vertriebenen getroffen, der bereit wäre, auf seine Eigentumsansprüche einschließlich etwaiger Entschädigungszahlungen aus Berlin, Prag und Warschau zu verzichten. Was ist also zu tun? Ich möchte Sie bitten, den „Aufruf zur Fortsetzung unseres Rechtskampfes“ zu unterstützen, ihn zu verbreiten, insbesondere aber an Ihnen nahestehende Vertriebenen-zeitungen, Heimatblätter und ähnliche Organe zu geben.

Parallel sollten wir aber in den einzelnen Landsmannschaften und im BdV eine Initiative mit dem Ziel starten, daß die teilweise Fortgeltung des Überleitungsvertrages beseitigt wird. Erst dadurch sind Klagemöglichkeiten in Deutschland gegeben, wie ich Ihnen dargelegt habe. Wer ist anzusprechen? Einmal die Vorstände in den Landsmannschaften und im BdV, zum anderen Abgeordnete der Landtage und des Bundestages. Vor allem ist in dieser Sache eine intensive Öffentlichkeitsarbeit nötig. Petitionen sollten an die Landesregierungen gerichtet werden; Endstation ist die Bundesregierung, die über die Botschafter der drei Westmächte eine Annulierung des Notenwechsels vom 27/28. September 1990 anstreben muß.

Zieht man eine Bilanz unserer Situation so fällt sie nicht besonders gut aus. Woran liegt das? Vielleicht brauchen wir in Berlin nicht nur ein Zentrum gegen Vertreibungen, das den Opfern gewidmet ist, sondern auch eine zentrale Institution zur Verfolgung unserer Rechtsansprüche. Vielleicht liegt es aber auch an uns? Der Fall der griechischen Zypriotin Titania Loizidou, vertrieben 1974 - und drei Jahrzehnte später - nach einem Menschenrechtsgerichtsverfahren in Straßburg - von der türkischen Regierung mit einem Scheck über 1,12 Millionen € für ihr Haus in Nordzypern ausgestattet, zeigt in der Tat, daß die Eigentumsansprüche neben dem Tatbestand des unverjährbaren Völkermordes der Vertreibung von äußerster Brisanz sind. Frau Loizidou hatte ihre Ansprüche allerdings mit einem Marsch von mehreren Tausend Frauen an die Demarkationslinie in Nordzypern begonnen. Wo bleiben Aktionen dieser Art bei uns?

Einen Lichtblick sehen wir in dem „1. Internationalen Kongreß der Vertriebenen und Flüchtlinge in Europa“, der vom 29. bis 31. März 2007 in Triest tagte. In der „Erklärung von Triest“ heißt es: „Wir, die vertriebenen, geflüchteten und deportierten Völker und Volksgruppen Europas fordern alle, insbesondere die für Flucht, Vertreibung und Deportation in Europa verantwortlichen Staaten und Institutionen auf, das begangene Unrecht im Sinne des internationalen Menschen- und Völkerrechts anzuerkennen, wiedergutzumachen, die dabei begangenen Verbrechen zu verurteilen und die Rückkehr zu ermöglichen.“

1996 brachte ich eine Sammeledition von 24 Autoren beim Leopold Stocker Verlag in Graz mit dem Titel „Von Prag nach Sarajewo. Vertreibung und Wiedergutmachung“ heraus. Anstoß war für mich die sich anbahnende Deutsch-tschechische Erklärung. Ende August 1995 hatte der tschechische Außenminister Zieleniec eine „Schlußpunkt-Erklärung von Bonn angemahnt. Er „betrachte es als unerläßlich, daß gesagt wird, daß wir uns niemals wieder mit den juristischen und politischen Aspekten der Vergangenheit beschäftigen werden“. Es wäre undenkbar, daß ein bundesdeutscher Minister jemals eine derartige Äußerung im Hinblick auf die Verbrechen des Dritten Reiches gemacht hätte! Ein weiterer Anstoß zu der Edition waren die unsäglichen Vorgänge, die sich in dem jugoslawischen Zwangsstaat abspielten, der zweiten Schöpfung der Pariser Vorortsdiktate nach dem tschechoslowakischen Zwangsstaat. Lassen Sie mich zum Abschluß aus meinem eigenen Beitrag zitieren, weil ich glaube, daß ich auch nach zehn Jahren nichts abzuändern brauche, während die Deutsch-tschechische Erklärung nichts, aber auch gar nichts gebracht hat. Ich schrieb damals:

„Eine für beide Seiten annehmbare Lösung sollte positive Elemente der europäischen Einigung integrieren. Es wäre aber zu billig, nur auf eine Freizügigkeit für Menschen und Güter zu setzen. Das Europa der Zukunft wird kein Bundesstaat sein, sondern ein Bund freier Staaten, die bestimmte Souveränitätsrechte auf die Europäische Union übertragen. Dazwischen sollten Regionen geschaffen werden, um Spannungsherde zu beseitigen. Damit sind nicht Modelle wie die Euregio egrensis gemeint, die ohnehin vor allem wirtschaftliche Aspekte haben.

Prinzipiell sollten die ost- und sudetendeutschen Gebiete in mehrere europäische Regionen überführt werden, die als Selbstverwaltungskörper nationalstaatlichem Eingriff entzogen sind.

Merkwürdigerweise haben sich die Vertriebenen betreffs der zugezogenen Bevölkerung eine vordergründige Diskussion über eine ‚zweite Vertreibung‘ aufnötigen lassen. Es ist niemand bekannt, der unrechtmäßige Zielsetzungen vertritt, trotzdem werden öffentliche Diskussionen mit Vorliebe auf dieses Thema gebracht. Selbstverständlich müssen Eigentumsfragen in den Regionen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen gelöst werden. Staatliches Eigentum nach dem Stand vom 8. Mai 1945 sollte den Regionen übergeben werden, privates Eigentum dieses Stichtages ist dem privaten Eigentümer zurückzugeben. Dem jetzigen Bewohner sollte ein Wohnrecht mit Kündigungsschutz zustehen.“

In aller Offenheit muß gesagt werden, daß eine individuelle Rückkehr in die Vertreibungsgebiete - selbst bei Rückerstattung des Eigentums - illusorisch ist, wenn diese unter nationaler Souveränität der Vertreiberstaaten verbleiben. Praktisch niemand würde das enorme Risiko für seine persönliche Sicherheit auf sich nehmen.

Ich sprach vorhin von den europäischen Regionen, in die unsere Heimatgebiete aufgehen könnten. Denken wir bitte an die europäische Region Tirol, die es erst in Grundzügen gibt, aber von den Tirolern weiter angestrebt wird. Schon seit Jahren können wir am Brenner von Nordtirol nach Südtirol fahren, ohne daß uns Grenzbeamte oder Karabinieri begegnen. Mit etwas Phantasie bewegen wir uns in einem Land Tirol. Lassen Sie uns das gleiche mit Zuversicht, aber auch Engagement anstreben, wenn wir von Schirnding nach Eger, von Bad Schandau nach Tetschen-Bodenbach oder von Neisse nach Freiwaldau fahren wollen! Dies verstehe ich unter einer künftigen Entwicklung deutsch-tschechischer Beziehungen.

 

DER WITIKOBRIEF

Hrg. Witikobund e.V.

Eggergasse 12, 84160 Frontenhausen

Homepage: www.witikobund.de

 

 

 

(Farbliche und textliche Hervorhebungen nachträglich durch B.-J. Fischer)

 

Vortrag zum Herunterladen der Original-Version als PDF-Datei   http://www.rsv.daten-web.de/Germanien/Vortrag_Schnuerch_Veranstaltung_Witikobund_20070526.pdf


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